29. Mai 1999
Vesag-Fest 2543
Dharma-Rede zur Zeremonie von
Buddhas Geburtstag
Dharma-Rede des Ehrw. Zen-Meisters Young San Seong Do
Wer ist der Eine, der der Höchste und Edelste zwischen Himmel und Erde ist?
Als Shakyamuni Buddha, der Von-der-Welt-verehrte-Eine, im Palast des Königs Suddhodana vor 2500 Jahren geboren wurde, blickte er umher, machte sieben Schritte in die vier Himmelsrichtungen des Ostens, Westens, Südens und Nordens und rief, wobei er mit der einen Hand zum Himmel und der anderen zur Erde zeigte, aus:
„Überhalb der Erde und unterhalb des Himmels bin einzig ich der höchst Verehrte!"
Es gibt unterschiedliche Deutungen dieses Ausspruchs des Buddha. Es ist jedoch nicht einfach, diese Lehre des Buddha von einem weltlichen Blickwinkel aus klar zu verstehen. Was also bedeuten diese Worte?
Sie bedeuten nicht, dass nur Shakyamuni Buddha selbst der Höchste und der Edelste zwischen Himmel und Erde wäre. Im Gegenteil: Buddha erleuchtet uns hier die Tatsache, dass jedes einzelne fühlende Wesen, selbst ein Insekt oder ein Wurm, bereits das „Ich" besitzt, das das höchst Verehrte in der Welt ist.
In der christlichen Bibel heißt es: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt in das Reich Gottes, außer durch mich."
Wo ist das Reich Gottes? Und was bedeutet hier das „Ich"?
Im Neuen Testament bei Lukas (17, 21) heißt es: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch."
Was bedeutet hier das „in euch" („mitten unter euch")? Wir sollten verstehen, dass das von Jesus ausgesprochene „Ich" eine Art Symbolwort war, das stellvertretend für jedes einzelne fühlende Wesen steht.
Eines Tages fragte ein Schüler Jesus Christus: „Wie können wir ins Himmelreich kommen"?
Jesus lehrte Folgendes: „Lass alles los und folge mir nach, dann ist das Himmelreich dein".
Auch diese Lehren sollten in dem Sinne verstanden werden: Glaube an dich selbst (dein wahres Selbst) und folge dir selbst (dem wahren Selbst), dann wirst du imstande sein, in das Himmelreich einzutreten.
In der Wahrheit gibt es ursprünglich kein „Ich". Warum? Weil, gäbe es in der Wahrheit ein persönliches „Ich", so wäre es bloß ein selbstsüchtiges „Ich".
Das gleiche gilt für den „Höchst-verehrten-Einen", den der Shakyamuni Buddha vor 2500 Jahren ausrief.
Was bedeutet der „Höchst-verehrte-Eine"?
Im Diamant-Sutra heißt es:
„Wenn jemand mich durch Form sieht
Und durch Geräusch mich sucht,
Praktiziert diese Person einen falschen Weg
Und kann den Tathagata (das wahre Selbst) nicht sehen."
An dieser Stelle wird deutlich, dass die wahre Bedeutung der Lehren von Buddha und von Jesus Christus sich nicht voneinander unterscheiden. Deshalb ist die Wahrheit aller Religionen ursprünglich Eins. Und das Eine kann weder unterschieden, noch erklärt, noch sich vorgestellt werden. Das Eine ist also jenseits aller Namen und Formen. Was dann?
So fragte ein berühmter Lehrer: „Die zehntausend Dharmas kehren in das Eine zurück. Wohin kehrt dann das Eine zurück?"
Auch ich möchte Sie zu diesem Einen befragen: Was ist die wahrhaftige Bedeutung dieses Einen?
Wenn Sie seine ursprüngliche Bedeutung erlangen, werden Sie von allen Anhaftungen befreit sein. Dann ist alles so wie es ist:
Berg ist einfach Berg,
Und Wasser ist einfach Wasser.